Paul war ein aufsteigender Stern an der Universität von Chicago in den 1940er Jahren, aber nachdem er aus dem akademischem System ausgestiegen war, ignorierten sie ihn für den Rest seines Lebens. 1973 gründeten er und ich das Ninth Street Center, eine Freiwiligen-Organisation, welche sich der Aufgabe widmete, unkonventionellen Menschen zu helfen, in einer gelegentlich unterdrückerischen Welt zu kreativ leben. Menschen, die nach Wahrheit verlangen, sind gewöhnlich nur allzu bereit, tiefe Dankbarkeit zu zeigen, wenn sie sie endlich finden, und so war diese Arbeit erfüllend. Zu unserem Bedauern blieb jedoch die Anzahl der Universitätsgelehrten, welche die Bedeutung seiner Arbeit erfassen konnten, eher gering.
Während meiner neunzehn Jahre mit Paul lernte ich, daß es nichts von Bedeutung für menschliche Wesen gab, worüber er nicht nachdachte. Aber er war kein Philosoph im konventionellen Sinne; wie Bertrand Russell dachte er nicht viel über die Probleme nach, um die sich die meisten Philosophen sorgen. Er kümmerte sich um einfache Dinge wie menschliche Erfüllung, und das Ende aller Kriege, und so galt seine Aufmerksamkeit primär der menschlichen Natur und dem, was David Hume als die wichtigste Aufgabe der Moralphilosophen bezeichnete, der Begründung einer Wissenschaft der menschlichen Natur. Wer ihn gründlich liest, wird einige erstaunliche Passagen finden, in denen Paul fast geistesabwesend überzeugende Lösungen für uralte philosophische Dilemmata vorschlägt.
Paul benutzte das Prinzip der Polarität zwischen dem Femininen und dem Maskulinen, um die Dynamik von Liebe und Macht, Ehrlichkeit und Mut, Weisheit und Stärke, Tiefe und Vitalität, Glauben und Hoffnung zu beschreiben, ebenso wie abstraktere Kategorien wie Zeit und Raum, Wahrheit und Recht, Spannung und Energie — selbst "Ursache und Wirkung" und "Anfang und Ende", als wäre es das erste Mal in der Menschheitsgeschichte. Die gesamte Leinwand der menschlichen Natur ist beschrieben von einem einzigen Standpunkt innerhalb eines einzigen semantischen Konzepts. So gesehen, machte er Philosophie zu einem Zweig der Psychologie.
Wir erinnern uns nicht mehr an den summenden Bienenstock von Akademikern, die mit Thomas von Aquinas darüber stritten, wieviele Engel auf der Spitze einer Nadel tanzen können. Aus ähnlichen Gründen glaube ich, daß die meiste Philosophie, die heute betrieben wid, in den kommenden Jahrhunderten vergessen sein wird, und daß Paul als der größte Denker des zwanzigsten Jahrhunderts angesehen werden wird.
Für diejenigen von uns, die ihn kannten, war er jedoch lediglich ein Lehrer, welcher mehr als irgendjemand sonst über menschliche Wesen wußte. So überragend seine Einsichten waren, sagte er immer, "Ich bin meiner Klasse nur eine Seite voraus". Selbst ein unvollkommenes menschliches Wesen, erinnerte uns Paul ständig daran, wie wenig wir über uns selbst wissen.
Pauls Beschreibungen sind so klar, so sorgfältig organisiert und universell anwendbar, als hätte ein Anthropologe vom Mars uns in Encyclopedia Galactica beschrieben. Dennoch sind seine Studenten immer überrascht, wenn all ihre Probleme nicht sofort verschwinden angesichts solcher Weisheit. Das liegt daran, daß Wissenschaft uns nur eine Art von Wissen gibt: Die Art, welche durch Erfahrung demonstriert werden kann. Die Art, nach der es uns jedoch oft verlangt, ist blitzartige Erleuchtung, die eine gesamte Geschichte vermittelt, welche uns eher in den Verstand eines Gottes versetzt denn in den von erdgebundenen Kreaturen. Als endliche, vergängliche, biologische Organismen, deren intellektuelle Hardware sich entwicket hat, um auf der Oberfläche eines Planeten unter Trillionen zu überleben, liegt diese holistische Art von Erkenntnis sicher außerhalb unserer gegenwärtigen Reichweite. Die größten Denker sehnen sich nach Einsichten, welche uns die Tragödien von Morgen erspart, und dennoch passiert die Tragödige von Morgen immer. Paul konnte die tragische Natur der Welt sehr genau fühlen, und seine Schriften sind geprägt von einem Mitgefühl für die Menschheit, wie man es selten findet in der Literatur der soziologischen Wissenschaften.
Dennoch ist Wissenschaft immer noch besser als Zynismus, und — wie das Universum selbst — unendlich. Steven Hawking erinnert uns daran, daß die Weltformel (welche wir als kurze Formel in 20 Jahren auf unseren T-shirts tragen werden) nicht das Ende der Wissenschaft, sondern eine neue Ebene sein wird, auf welcher noch größere Fragen aufgeworfen werden. Genauso wenig ist Pauls Arbeit das Ende der Psychologie, sondern vielmehr ihr Anfang. Aber ab jetzt werden Denker in der ganzen Welt weiter in die menschliche Landschaft blicken können, weil sie auf den Schultern eines Giganten stehen.
Wenn Sie mehr über Paul lesen möchten, erzählt seine Autobiographie ausführlich seine Geschichte. Bevor Sie sich daran machen, sollten Sie aber wahrscheinlich den kurzen Artikel lesen über seine Arbeit im East Village vor der Gründung des Ninth Street Center, sowie das Vorwort, und vielleicht die Einführung, die ich zu seinem letzten Buch schrieb. Sie werden auch Proben seines Schreibstils, Artikel über Paul und seine Schriften, und eine Zusammenfassung seiner Grundideen unter den folgenden Links finden.